Olivia Kroth: Eine russisch-chinesische «Frühlingsweihe»

ine russisch-chinesische «Frühlingsweihe»

von Olivia Kroth

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China und Russland tun 2019 einen Schritt in eine neue Ära für die Entwicklung ihrer Kooperation auf höherer Ebene. In diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Russland. Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in der Welt ist die Stärkung dieser Beziehungen für beide Seiten eine wichtige strategische Entscheidung. China und Russland intensivieren ihre wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit, die strategische Kommunikation und die Koordinierung. Sie verstärken auch ihre gegenseitige Unterstützung in Fragen, die ihre jeweiligen Kerninteressen betreffen. Der persönliche Austausch wird gleichfalls vertieft. Mit einem gut durchdachten Plan soll das chinesisch-russische Jahr der wissenschaftlichen und technologischen Innovation von 2020 bis 2021 erfolgreich gestaltet werden. Und nicht zuletzt hat der kulturelle Austausch erheblich zugenommen, zum Beispiel durch ein gemeinsames Projekt im Bereich Musik und Ballett.

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Die «Frühlingsweihe» (Весна священная) wurde 1913 von dem russischen Komponisten Igor Strawinsky als Ballettmusik komponiert. Das Werk ist auch unter dem Titel «Sacré du Printemps» bekannt, weil die Uraufführung in Paris stattfand. Der Untertitel „Bilder aus dem heidnischen Russland“ gibt das Thema vor. Das Szenario zeigt verschiedene Naturrituale, die den Beginn des Frühlings feiern. Im Februar 1914 beschrieb Igor Strawinsky seine «Frühlingsweihe» als ein «musikalisch-choreografisches Werk, welches das heidnische Russland repräsentiert und durch eine einzige Idee vereint ist: das Geheimnis und den großen Schub der schöpferischen Kraft des Frühlings».

In seiner Autobiografie von 1936 schrieb der Komponist über die Entstehung der Ballettmusik: „Eines Tages hatte ich eine flüchtige Vision. In meiner Vorstellung sah ich einen feierlichen heidnischen Ritus. Weise Älteste saßen im Kreis und beobachteten ein junges Mädchen, wie es sich zu Tode tanzte. Sie opferten das Mädchen, um den Gott des Frühlings zu besänftigen. Dies wurde zum Thema meiner Frühlingweihe.“

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Igor Strawinskys Partitur enthielt viele neuartige Merkmale in Bezug auf Takt, Rhythmus und Tonart, obwohl sie auf traditioneller russischer Volksmusik beruhte. In seiner «Frühlingsweihe» experimentierte der Komponist mit Bitonalität, Dissonanzen und außergewöhnlichen rhythmischen, klanglichen Strukturen.

Der Komponist schichtete Dur- und Mollakkorde mit gleichem Grundton übereinander, bezog auch Septakkorde und ihre Umkehrungen in die Schichtungen mit ein oder lagerte zwei Molltonarten im Halbtonabstand übereinander. Ein weiteres neues Element war die Schichtung verschiedener Rhythmen, die Polyrhythmik. Dabei spielen verschiedene Instrumente gleichzeitig gegenläufige Rhythmen, die zum Teil auch in verschiedenen Taktarten notiert sind.

Heute wird diese Ballettmusik allgemein als eines der einflussreichsten Musikwerke zu Beginn des 20. Jahrhunderts angesehen, das andere Komponisten dazu veranlasste, den neuen Weg zu beschreiten. Igor Strawinskys «Frühlingsweihe» ist zweifellos die berühmteste Komposition des frühen 20. Jahrhunderts. Sie hatte den Effekt einer Explosion, welche die Elemente der Musiksprache so zerstreute, dass sie nie wieder wie vormals zusammengesetzt werden konnten.

Der russische Komponist Igor Strawinsky (1882 – 1971):

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Igor Strawinsky wurde am 17. Juni 1882 in Oranienbaum, einem Vorort von Sankt Petersburg, im russischen Reich geboren. Schon als kleiner Junge begann er mit dem Klavierunterricht und studierte Musiktheorie. 1890 sah er eine Aufführung von Pjotr Tschaikowskys Ballett „Dornröschen“ im Mariinski-Theater. Er war so beeindruckt, dass er beschloss, ebenfalls Komponist zu werden.

Igor Strawinsky wuchs zu einem sehr kultivierten Mann mit einer großen Vorliebe für Kunst und Literatur heran. Während seines ganzen Lebens blieb er ein frommes Mitglied der russisch-orthodoxen Kirche, weil „Musik Gott preist“. Igor Strawinsky betete täglich vor und nach dem Komponieren, und er betete auch, wenn er Schwierigkeiten begegnete.

Nach 1910 verließ der Komponist Russland und lebte im Ausland. Zweimal war er verheiratet, das erste Mal mit einer Russin, das zweite Mal mit einer Französin. Igor Strawinsky entwickelte ein Geschick darin, die Rolle eines «Mannes der Welt» zu spielen, sich einen ausgeprägten Instinkt für geschäftliche Angelegenheiten anzueignen und in der Öffentlichkeit entspannt zu wirken. Seine erfolgreiche Karriere als Pianist und Dirigent führten ihn in viele große Städte der Welt. Igor Strawinsky war international beliebt. Am 18. März 1971 starb er und wurde in der russischen Ecke der Friedhofsinsel San Michele in Norditalien beigesetzt.

Igor Strawinsky in späteren Jahren:

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Eine interessante, ungewöhnliche Aufführung des Balletts «Frühlingsweihe» fand im September 2019 im Moskauer Bolschoi-Theater statt. Die chinesische Tanztruppe für zeitgenössischen Pfauentanz präsentierte das Werk in der Fassung der Choreografin Yang Liping. Sie kombinierte moderne Choreografie mit traditionellem chinesischem Pfauentanz zur Musik von Igor Strawinsky und tibetischen Intonationen. So wurde das russische heidnische Frühlingsopfer durch asiatische Ästhetik und Philosophie neu interpretiert.

Yang Lipings «Frühlingsweihe» bestand aus drei Akten, wobei der zweite Akt die von Igor Strawinsky komponierte Originalmusik verwendete. Der erste und der dritte Akt präsentierten eine neue Partitur, inspiriert von traditionellen Klängen aus Tibet. Yang Lipings Ballett zeigte chinesische Symbole der Natur für den Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt. Ihre Absicht war es, eine Abstraktion des physischen Universums zu finden, in welcher Zeit, Raum und Leben in einem ewigen Kreislauf nebeneinander her existieren.

Plakat für Yan Lipings Ballett «Frühlingsweihe»:

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Yang Liping (杨丽萍) ist eine der bekanntesten Tänzerinnen Chinas und Choreografin der chinesischen Tanztruppe für zeitgenössischen Pfauentanz  (孔雀舞 孔雀舞). Mit ihrer Choregrafie wollte sie sowohl das chinesische als auch das russische Publikum ansprechen. Darin spiegelt sich auch ihre eigene Karriere im modernen ästhetischen Tanz, wobei sich zeitgenössische mit traditionellen Ideen verbinden.

Die russische und die chinesische Kultur wurden in perfekter Symbiose präsentiert. Yang Lipings Interpretation des verehrten russischen Ballettwerks würdigte Igor Strawinskys Musik und konzentrierte sich zugleich auf Perspektiven der chinesischen Kultur. Die chinesischen Tänzerinnen und Tänzer wiegten sich wie Blätter im Frühlingswind. Sie verwoben ihre Körper zum Yin-Yang-Symbol.

Dieses alte Konzept der chinesischen Philosophie beschreibt, wie scheinbar gegensätzliche Kräfte in der Welt sich miteinander verbinden, denn in Wirklichkeit sind sie komplementär und voneinander abhängig. Die chinesische Ballettaufführung in Moskau zeigte die Wechselbeziehung zwischen China und Russland. Beide Länder verhalten sich komplementär zueinander. Sie sind miteinander verbunden und voneinander abhängig.

Yang Liping:

Yang Liping's Under Siege Coming in April | MidnightEast

Das Bolschoi-Theater am Teatralnaja-Platz im Zentrum von Moskau gilt als Wahrzeichen Russlands. Der Bau mit neoklassizistischer Fassade wurde zwischen 1821 und 1824 von dem Architekten Joseph Bové errichtet. 1855 stattete der Architekt Alberto Cavos das Theater mit einem neuem Klangsystem sowie einer aufwändigen Dekoration für das Auditorium aus.

Während des Zweiten Weltkriegs, der in Russland als der Große Vaterländische Krieg bezeichnet wird, konnte das Bolschoi-Theater nur knapp dem Schicksal entkommen, von den Nazis in Schutt und Asche gelegt zu werden. Im April 1941 wurde es für Renovierungsarbeiten geschlossen. Zwei Monate später fiel die deutsche Wehrmacht in die UdSSR ein. Ein Teil der Theaterkompanie des Bolschoi wurde nach Kuibyschew (Samara) evakuiert, ein anderer Teil blieb in Moskau. Viele der Künstler reisten an die Front, um die Truppen zu unterhalten, während manche sich zur Verteidigung ihres Landes der Roten Armee anschlossen.

Eintrittskarte für Moskaus berühmtes Bolschoi-Theater:

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Am 29. November 2002 wurde die Neue Bühne für das Bolschoi-Theater in Betrieb genommen. Der Bau, welcher sie beherbergt, steht auf der linken Seite des Gebäudes mit der Historischen Bühne. Zusammen mit Nebengebäuden – einem restaurierten Bauwerk aus dem 17. Jahrhundert, zwei Proberäumen und Künstler-Aufenthaltsräumen – bildet es heute einen einzigen Theaterkomplex, das Bolschoi-Theater der Russischen Föderation.

2010 wurde rundum ausgiebig renoviert: die Eingangshalle, das Haupt- oder das weiße Foyer, die Chor-, Ausstellungs-, Rund- und Beethoven-Säle. Auch die berühmte Apollo-Quadriga des Bildhauers Peter Klodt wurde restauriert. Ebenso wie die Theaterbesucher des 19. Jahrhunderts kann das Publikum heute die extravagante Ausstattung der Innenräume bewundern, zu welcher auch das Gemälde von Apollo und den Musen an der Decke der Historischen Bühne gehört.

Zu den Aufführungen von Yang Lipings Ballett «Frühlingsweihe» waren im Bolschoi viele chinesische Gesichter zu sehen, auf den Balkonen des Theaters wurde Chinesisch gesprochen. Chinesische Touristen lieben Moskau, denn Russland hat ein Projekt, das sich „Freundschaft mit China“ nennt. Es bietet chinesischen Besuchern niedrige Preise für Luxusgüter, verbesserten Service in Hotels und interessante touristische Aktivitäten. So hat Moskau eine neue, glänzende Anziehungskraft für Chinesen gewonnen.

Sie können in Moskau auch chinesisch essen, da hier in den letzten Jahren viele chinesische Restaurants eröffnet wurden. Nun können sie sogar eine chinesische Ballettaufführung im berühmten Bolschoi-Theater besuchen. So werden sie sich wie zu Hause fühlen und gerne wieder kommen wollen. Laut Chinas größtem Reisebüro Ctrip, das im Jahr 2018 Touren für rund 130.000 Menschen organisierte, ist die Zahl der chinesischen Touristen für Russland erheblich gestiegen.

Das Bolschoi-Theater:

Private Tour of the Bolshoi Theater in Moscow 2022

Yang Liping wurde am 10. November 1958 in der chinesischen Provinz Yunnan geboren. Sie ist das älteste von vier Kindern. Ihre Eltern und Großeltern waren Bauern der Bai-Ethnie. Yang Liping begann ihre formelle Tanzausbildung im Alter von 11 Jahren mit einer Tanzgruppe im südlichen Flachland von Yunnan an der Grenze zu Myanmar. Hier lernte sie den traditionellen chinesischen Pfauentanz, der sie berühmt machte. 1986 gewann sie mit ihrem Solo „Pfauengeist“ den ersten Preis in einem nationalen Tanzwettbewerb.

Yang Liping ist stolz darauf, zum Volk der Bai zu gehören, das hauptsächlich in Yunnan lebt. Die Bai sind eine der 56 von der Volksrepublik China offiziell anerkannten ethnischen Gruppen. Diese Ethnie kann sich einer langen, farbenfrohen Geschichte rühmen. Archäologische Funde belegen, dass die Existenz der Bai bis ins Jahr 2050 v. Chr. zurückreicht. Das Volk der Bai verehrt lokale Gottheiten und Ahnengeister sowie buddhistische Götter. Wie die russischen Heiden feiern auch die Bai ein Frühlingsfest, die «Weihe des Dritten Monats». Kein Wunder, dass Yang Liping die russische heidnische „Frühlingsweihe“ so gut verstehen kann und eine Beziehung zu ihr findet.

Die  chinesische Tänzerin und Choreografin Yang Liping:

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„Meinen Tanz habe ich nicht von anderen Menschen gelernt, sondern von der Natur. Mein Mentor ist die Natur, ich lerne aus dem Beobachten der Natur “, erklärte Yang Liping, als sie in einem Interview über die Wurzeln ihrer Kunst sprach. In Yunnan reagierte ihr Körper auf die Natur, die sie vor ihren Augen sah, und bevor sie es merkte, tanzte sie. Ähnliche Volkstänze gibt es in verschiedenen Teilen Russlands, wo die Menschen auch auf die Natur reagieren, die sie umgibt.

Die Natur zu beobachten und zu erhalten ist ein gemeinsames Interesse der Menschen in China und Russland. Beide Nationen versuchen, trotz langfristigen Wirtschaftswachstums die Natur nachhaltig zu schützen. Ökologisches Gleichgewicht und Umweltschutz sollten für jedes Land oberste Priorität haben, damit künftige Generationen kein verarmtes, verödetes Brachland erben werden.

Terrassenförmige Reisfelder in Yunnan:

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Olivia Kroth: Die Journalistin und Autorin von vier Büchern lebt in Moskau.

Ihr Blog:

https://olivia2010kroth.wordpress.com

Die englische Version dieses Textes erschien auch in THE DURAN:

A Russian-Chinese “Rite of Spring”

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Acerca de olivia2010kroth

Writer, journalist: The Duran https://olivia2010kroth.wordpress.com
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2 respuestas a Olivia Kroth: Eine russisch-chinesische «Frühlingsweihe»

  1. karovier dijo:

    Reblogueó esto en karovier blogy comentado:
    China und Russland tun 2019 einen Schritt in eine neue Ära für die Entwicklung ihrer Kooperation auf höherer Ebene. In diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Russland. Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in der Welt ist die Stärkung dieser Beziehungen für beide Seiten eine wichtige strategische Entscheidung. China und Russland intensivieren ihre wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit, die strategische Kommunikation und die Koordinierung. Sie verstärken auch ihre gegenseitige Unterstützung in Fragen, die ihre jeweiligen Kerninteressen betreffen. Der persönliche Austausch wird gleichfalls vertieft. Mit einem gut durchdachten Plan soll das chinesisch-russische Jahr der wissenschaftlichen und technologischen Innovation von 2020 bis 2021 erfolgreich gestaltet werden. Und nicht zuletzt hat der kulturelle Austausch erheblich zugenommen, zum Beispiel durch ein gemeinsames Projekt im Bereich Musik und Ballett…

    Olivia Kroth hat sich diesem Thema ausführlich gewidmet. Bitte hier weiterlesen…

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  2. Vielen Dank für den Abdruck des Textes auf Deinem Blog, Wolfgang.

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